Sie sind überall. Straßenhunde in Cusco lassen sich von Touristen fotografieren, während sie sich die warme Andensonne auf den Pelz scheinen lassen. Sie schleichen durch die Märkte und betreten heimlich Restaurants, um zu sehen, ob etwas für sie abfällt. Sie drehen ihre Runde durch das Künstlerviertel San Blas, um sich mit ihren tierischen Freunden zu treffen und sie wühlen sich durch den städtischen Müll, der sich vielerorts stapelt. Selbst beim Inti Raymi, dem berühmten Sonnenfest der Inka, verirren sich ein paar Straßenhunde auf die Bühne und rennen den Darstellern hinterher. Ein Bild für die Andengötter. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn zu Zeiten der Inka hat es ja keine Hunde gegeben. Cusco und seine Hunde. Sie leben parallel zum Menschen, irgendwie sind sie da und doch sind sie irgendwie nur Luft. Was es heißt, Hund in Cusco zu sein, liest du in diesem Artikel.
Wo das Dasein beginnt: Auf dem Tiermarkt
Es bricht mir das Herz und ich kann nichts dagegen tun. Mein Geldbeutel würde reichen, um alle Hunde von den Bahngleisen des Tiermarktes aufzukaufen. Und dann? Ich bin alles andere als reich, doch die Welpen hier sind alles andere als teuer. Die kleinen „Cachorros“ kosten rund fünf Soles, genauso viel wie ein Mittags-Menu. Eigentlich möchte sie keiner und im schlimmsten Fall werden sie verschenkt, schlimmer noch – getötet. So startet das Leben vieler kleiner Hundewelpen in Cusco, wenn überhaupt.
Jeden Samstag findet bei den Bahngleisen der Puente Grau ein Tiermarkt statt. Hier wird alles verkauft, was sich fröhlich vermehrt aber dem Besitzer keinen Nutzen bringt oder schlicht weg, zu teuer ist. Neben Hühnern und Meerschweinchen sind das vor allem kleine Katzen und Hunde. Mehrere Hundewelpen teilen sich einen Pappkarton. Sie schauen dich mit großen Augen an. Die Besitzer sitzen auf den Rändern der Bahngleise und rufen den vorbeigehenden Leuten zu. “Comprate un cachorro” (Kauf dir einen Welpen). Und siehe da, einige Cusqueños schlagen zu. Sie sind in pinken Jogging-Klamotten unterwegs – es ist Wochenende.
Es kann so einfach sein. Das perfekte Geschenk für die Kinder oder für “el gran Amor” (die große Liebe). Stolz tragen die Cusqueños ihre süßen kleinen Hundewelpen unter dem Arm oder sie gucken aus ihren Handtaschen hervor. Oft stecken sie die kleinen Wesen in alberne Kleider. Doch wenn die niedlichen Tiere erst einmal groß sind oder es vorbei ist mit der großen Liebe, dann landen die Hunde auf der Straße – so wie die anderen Hundeseelen. Keiner fühlt sich zuständig, Hundefutter ist zu teuer und Tierarztkosten sowieso.
Nur ein “Halbzeit-Haustier”
Nicht alle Hunde auf der Straße sind richtige Straßenhunde. Aber sie sind auch keine richtigen Haustiere, sie sind, so sag ich mal, “Halbzeit-Haustiere”.
Sie lernen ihren eigenen Weg zu gehen, spätestens wenn sie aus dem süßen Welpen-Dasein herausgewachsen sind. Niemand würde auf die Idee kommen, mit einem Hund “Spazieren zu gehen” und schon gar nicht an der Leine. Das machen nur die “Gringos” (Ausländer), die hier leben und sich einen Hund angeschafft haben. Lächerlich finden das die Einheimischen.
Viele Hunde, die eigentlich einen Besitzer haben, laufen frei um her. Zum Glück, denn sie könnten auch in Hinterhöfen oder auf dem Dach ihr restliches Leben abbüßen. Tierquälerei und gewaltsame Übergriffe auf Hunde in Haushalten sind auch keine Seltenheit.
Auf der Straße hingegen machen die Hunde ihr eigenes Ding, sie sind frei und die Stadt ist ihr zu Hause. Zwischen Menschenmassen bahnen sie sich ihren Weg durch die Stadt, sie verweilen vor Hausportalen oder liegen den ganzen Tag auf den Hauptplatz und beobachten die Touristen. Naja, fragt sich eigentlich, wer hier wen beobachtet :)
Manchmal verschwinden sie dann gänzlich für Tage oder Wochen. Sie könnten tot sein. Doch irgendwann kehren sie zu ihren Besitzern zurück, völlig dick und durchgefressen. Sie haben es sich irgendwo anders gut gehen lassen.
Straßenhunde sind treue Gefährten. Wer kein wirkliches zu Hause hat, der braucht auch kein Revier zu verteidigen. Die Hunde in Cusco sind zahm, friedlich und gucken einen gerade mal so mit dem Hinterteil an. Hunde-Gangs sieht man hier und da aber Streitereien gibt es nie. Sie spielen, sie fressen, sie machen Liebe.
Der Wohlstand einer Stadt
Man sagt, man kann den Wohlstand einer Stadt an den Hunden ablesen und tatsächlich, in Cusco ist das so. Es lässt sich darüber streiten, wie gut es diesen Hunden wirklich geht, aber abgemagert sehen sie selten aus. Was man im Innenzentrum versucht, vor den Touristen zu verbergen, offenbart sich einem spätestens im Künstlerviertel San Blas oder wenn man die Stadt verlässt: jede – Menge – Müll!
Lange Zeit dachte ich, es gäbe kein geregeltes Abfallsystem, bis man mich eines besseren belehrte – das Problem sind die Bewohner der Stadt. Sie schaffen es nicht, den Müll an den richtigen Stichtagen rauszulegen und so kommt es, dass sich die Hunde auf den Abfall stürzen.
Cusco lebt vom Tourismus. Die Stadt besteht aus Hotels und Restaurants. Wo sich die Hunde auf dem Land von menschlichem Kot ernähren, gibt es hier die feinsten Essensreste.
Ein Dorn im Auge
Was nach einem guten Hundeleben aussieht, ist den Behörden in Cusco dann doch ein Dorn im Auge. Die Hunde vermehren sich, es gibt Touristen, die Angst vor Hunden haben und die Straßenhunde könnten Krankheiten übertragen. Die Stadt und seine Bewohner verursachen selbst das Problem und machen dann einen auf Opfer. Weil sie sich selbst nicht zu helfen wissen, bestrafen sie unschuldige Hundeleben.
Kurz gesagt, es wird immer mal wieder Gift ausgelegt. Hunde sterben. Alles über Nacht, damit die Touristen nichts davon mitbekommen – das könnte schließlich den Ruf einer ganzen Stadt zerstören. Aber ganz ehrlich? Solange Cusco es nicht schafft in die Bildung seiner Bewohner und das Abfallproblem zu investieren, wird sich das Problem nicht ausradieren lassen.
Are you my Wayki?
Wayki ist ein Quechua-Wort und heißt “Freund”. Mein damaliger Arbeitskollege nannte so seinen Hund.
Manchmal, wenn den Hunden das Straßenleben dann doch zu langweilig wird und sie sich nach einem kleinen Abenteuer sehnen, schließen sie sich den Menschen an. So ist es uns passiert – damals, 2011, als ich mit zwei Freundinnen eine Wanderung zur Bergspitze Picol unternommen habe.
Die Wanderung beginnt im Stadtteil “La Rapa”, wo wir auf “Superdog” getroffen sind. So haben wir ihn genannt, weil er ohne zu mucken, die steilen Hänge hochgesprungen ist. Wir wunderten uns, dass er gar nicht mehr von unserer Seite wich. Irgendwann waren wir richtig froh, denn mit Superdog fühlten wir uns irgendwie sicherer. Er war lieb, lief vor und wartete dann auf uns. Er folgte uns bis zur Spitze und wie wir, konnte er es kaum erwarten, den Blick auf die Stadt – ja richtig, seine Stadt – zu genießen.
Zurück in La Rapa trennten sich unsere Wege schneller als uns lieb war. Plötzlich war Superdog weg. Kein schwerer Abschied, keine Tränen. Besser so für ihn, denn morgen wird er wieder seinen eigenen Weg gehen, unabhängig und frei vom Menschen – so oder so.
Hallo Nora,
Erstmal alles Liebe und Gute für das Neue Jahr 2016, viele schöne Reisen und Begegnungen. Ich habe Deinen Artikel mit gemischten Gefühlen gelesen. Einerseits haben wir einen Strassenhund-Welpen bei uns aufgenommen (die Jungs haben sie mit nach Hause gebracht) und heute ist sie ein Teil der Familie. Andererseits wurden wir erst gestern beim Spazierengehen von einem Strassenhund “angefallen” und kamen mit einem Loch in der Jacke davon…
Liebe Grüsse,
Martina
Frohes Neues ebenfalls (etwas verspätet :))
Ja, ich glaube außerhalb der Stadt sind Hunde immer aggressiver, ging mir auch schon so auf einem Trekking. Da sollte man gut aufpassen. Aber in den Innenstädten ist mir persönlich in drei Jahren Peru nie etwas passiert. Und wenn doch, dann strahlt die Person vielleicht zu sehr Angst auch und das können die Hunde förmlich riechen. Deswegen noch mein Tipp, keine Angst zeigen (und besser gegen Tollwut impfen).
Saludos,
Nora
Hallo Nora!
Ich finde deinen Artikel wunderbar treffend. Genau die gleichen Eindrücke hatten wir, Fabi und Ich bisher in Chile, Bolivien und nun in Peru. Fabian knuddelt direkt alle Hunde und wir hätten am liebsten schon zig von ihnen adoptiert. Jedoch geht unsere Reise durch Südamerika noch ein wenig weiter…
Deine Begegnung mit “Superdog” erinnert uns an unsere “Schnuffi”. Die Hundedame mit dem schnuffigen Blick hat uns bis auf den Vulkan Chaiten in Chile begleitet. Genau wie Superdog hat sie immer wieder gewartet, sich zu uns umgeblickt und uns den Weg geleitet. Der Abschied war auch kurz und schmerzlos, worüber wir im Endeffekt sehr froh waren. Sonst hätten wir sie wahrscheinlich tatsächlich noch immer im Gepäck.
Danke für den toll geschriebenen Artikel und die Erinnerung an unsere Schnuffi :)
Christina & Fabi
Hola Christina & Fabi,
Ich glaube auch, dass es weltweit wunderbare “Superdogs und Schnuffis” gibt :)
Liebe Grüße aus Chachapoyas (wo ich gerade 2 Hunde hüte ;))
Nora