Luis Miguel Portilla Tuesta ist Künstler aus Chachapoyas. Neben Peru hat Luis seine Werke in den USA, in Mexiko und in Frankreich ausgestellt. Seine letzte Ausstellung „Chamanes, Ikaros y Diosas“ fand in Bordeaux statt und war ein voller Erfolg.
Die Stadt Chachapoyas und ihr Künstler
Wer mich kennt, weiß, dass Kunst in meinem Leben eine wichtige Rolle spielt. Lange Zeit dachte ich, Peru hätte keine richtige Kunstszene. Es gibt zwar reichlich Kunsthandwerk, religiöse Kunst und das, was ich unter „Heimatkunst“ verstehe – Bilder mit Bergen, Lamas und Menschen in typischen Trachten – aber eine moderne Kunst-Szene? Die gibt es nicht. Dachte ich jedenfalls.
Seit den letzten Monaten lerne ich Peru von seiner künstlerischen Seite kennen und ja, es gibt junge und aufstrebende Künstler, die ihr Land und ihre Traditionen mit der Kunst kommunizieren, aber weit über die Sparte „Heimatkunst“ hinausragen. Wie Luis Miguel Portilla Tuesta zum Beispiel. Ich habe ihn in Chachapoyas im Café Fusiones kennen gelernt. Es war der Abend, an dem das „Chachapoyana“ (Bier aus Chachapoyas) eingeweiht wurde. Meine Freunde Martina und Philippe erzählten mir, Luis habe das Flaschen-Etikett gestaltet.
Er sei der Stolz dieser Stadt, da er es mit seiner Kunst schon über die Landesgrenzen geschafft hat. Natürlich spitzt man da die Ohren und so plauderte ich ein wenig später mit Luis. Da mir seine Kunst auf Anhieb gefiel, habe ich ihn zu einem Interview überredet und 9 Fragen gestellt, über seine Motivation, die Inhalte seiner Werke und warum die Kunst zum Aufwachen verleitet.
Ein Interview mit Luis Miguel Portilla Tuesta
1. Luis, mit welchen Wörtern beschreibst du deine Kunst?
„Neo indigenismo“ ist das erste Wort. Meine Kunst spiegelt zum einen das Leiden der Indigenen wieder, zum anderen aber auch ihre Denkweisen und Kosmo-Visionen. Bezogen auf meinen momentanen Stil könnte „rasgadura“ (auf deutsch: „Abriss“) das zweite Wort sein. Ich male nicht, ich entferne, was ich gemalt habe Stück für Stück bis das eigentliche Werk entsteht. Das ist eine Technik, die ich mit der Zeit entwickelt habe, die in gewisser weise aber auch meine Lebensform darstellt. Ich denke, in diese Richtung gehe ich mit meiner Kunst.
2. Seit wann wusstest du, dass du Künstler sein möchtest?
Ich denke, seitdem ich ein kleines Kind bin. Ich erinnere mich, wie meine Lehrerin alle Kinder fragte, was sie später beruflich machen möchten. Der eine Junge sagte „Ingenieur“, das andere Mädchen antwortete „Ärztin“. Aber ich wusste von Anfang an, dass ich „Künstler“ sein möchte. Mir blieb gar keine andere Wahl.
3. Was hast du getan, um deinen Traum zu erfüllen?
Arbeiten. Ich habe immer hart gearbeitet. Der Begriff „Künstler“ ist in meinen Augen etwas komplex. Die Kunst ist eine Entscheidung und ebenso eine Lebensqualität. Doch es ist in erster Linie eine Arbeit, zu der ich berufen wurde. Eigentlich fühle ich mich gar nicht als „wahrer Künstler“, sondern vielmehr als ein Arbeiter, der seinen Weg sucht, in dieser Welt zu überleben. Nicht anders als jemand der Brote bäckt oder ein Schuster, der Schuhe repariert.
4. Was bedeutet die Kunst für dich?
Es ist ein natürliches Grundbedürfnis, welches alle Menschen in irgendeiner Form spüren. Wir sind die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten, die sich kreativ ausleben wollen. Es ist aber auch die tägliche Herausforderung mit der weißen Leinwand zu starten, ohne zu wissen, worin meine Arbeit enden wird. Das Experimentieren und der Schaffensprozess, darin liegt der eigentliche Reiz meiner Arbeit. Es ist diese Suche, die mich bis zu meinem Tod begleiten wird. Vielleicht werde ich niemals fündig, wer weiß.
5. Warum lebst und arbeitest du in Chachapoyas?
Ich hatte bereits die Gelegenheit, an anderen Orten zu leben und zu arbeiten. Aber Chachapoyas erfüllt mich. Hier fühle ich diese Energie, die für meine Arbeit sehr wichtig ist. Die Inhalte meiner Werke basieren auf meiner Kultur und meinen Traditionen. Deswegen ist es gut, mit meinen Wurzeln verbunden zu sein. Es ist sehr schwierig etwas zu malen, wenn man weit davon entfernt ist. In Chachapoyas sehe ich die Berge. Sie geben mir Energie. Die frische Luft. Die Farben der Blätter. Die Ruhe und die Möglichkeit nach Hause zu laufen, wann immer ich möchte. Außerdem habe ich hier mehr Zeit.
6. Was inspiriert dich?
Die Menschen. Die Menschen inspirieren mich sehr. Die nativen Völker in den abgelegenen Dörfern, ihre Bräuche, ihre Schönheit aber auch die sozial-politischen Konflikte. Ein Beispiel dafür ist der „Baguazo“ in der Region Amazonas. 2009 kam es zu einem Interessenkonflikt zwischen der peruanischen Regierung und indigenen Kommunen in der Region Bagua. Erdöl-Unternehmen wollten in das Gebiet der Regenwaldbewohner eindringen, um Erdöl zu fördern, doch die Bewohner wehrten sich dagegen mit heftigen Protesten. Daraufhin griff die Armee ein und das Morden begann. („When two worlds collids“ ist ein Dokumentarfilm über die Ereignisse in 2009, bei denen 33 Menschen starben)
Ich hatte die Gelegenheit mit anderen Freiwilligen in einem Gefängnis Kunst zu unterrichten. Ich lernte Indigene kennen, die mir ihre Sichtweise auf den Konflikt schilderten. Diese Menschen brauchen kein Erdöl, sie brauchen keine Autos. Die Indigenen betrachten das Leben anders als wir es tun. Sie sehen das Wasser und den Fluss. Die Fische, die sie angeln – das ist ihr Leben. Und nun kommen Eindringlinge mit westlichen Werten und versuchen alles, um diese Lebenswelt zu zerstören, aus ökonomischen Gründen. Im Grunde dreht sich alles um das Geld. Viele Indigene mussten ihr Leben lassen. Sie verteidigten ihr Land mit Pfeilen und die Armee antwortete mit Waffen.
Erst vor Kurzem kam es in Condorcanqui zu einem Umweltverschmutzung. Erdöl der peruanischen Erdöl-Firma Petro-Peru ist in einen Fluss gelaufen, wodurch zahlreiche Tierarten starben. Und genau das verarbeite ich in meiner Kunst. Das male ich. Meine Werke können sehr brutal sein.
7. Spürst du eine Verantwortung als Künstler?
Auf jeden Fall. Ich kann mein Dorf nicht im Stich lassen. Ich denke, der Künstler sollte ein Kämpfer sein, jemand der sich gegenüber seinen Mitmenschen verpflichtet fühlt. Ich könnte keine bunten Blumen malen oder nur das Schöne. Das ist einfach nicht meins. Ich glaube, die Kunst ist eine Ausdrucksform, die andere Menschen erwachen lässt. Das ist die eigentliche Aufgabe der Kunst, die Welt aus dem Schlaf reißen, Augen öffnen, Sichtweisen ändern, Menschen bilden. Dafür muss man über das Ästhetische hinaus. Einige Künstler haben das schon geschafft. Zum Beispiel mit großer Wandmalerei. Desto mehr Menschen darauf aufmerksam werden, desto besser.
8. Pachamama und die andine Kosmo-Vision – spielt das in deiner Kunst eine Rolle?
Sehr. Ich habe meine Kultur studiert und mir ist bewusst geworden, wie reich die alten südamerikanischen Völker waren. Reich an Weisheit und Wissen. Doch die Spanier zerstörten alles, als sie 1532 nach Südamerika kamen. Den Menschen pflanzten sie in den Kopf, dass sie nicht zivilisiert seien. Dabei war die Kultur der Inka die größte Zivilisation in ganz Südamerika. Die Inka waren Genies der Astronomie, der Landwirtschaft und der Ingenieurtechnik. Oder wenn man sich mal den Maya-Kalender ansieht, Machu Picchu oder Kuelap. Lateinamerika besitzt soviel Reichtum, doch man nahm ihn uns weg. Südamerika wurde in seiner Entwicklung gehemmt. Vorher lebte unsere Kultur mit den Naturgottheiten, die Menschen konnten sie sehen. Der Jaguar, die Berge, die Schlange, die Sonne und der Mond. Meine Kultur glaubte an die Muttererde (Pachamama) und an die Heiligkeit der Naturelemente. Die Spanier brachten ihren eigenen Gott, aber niemand konnte diesen Gott verstehen. Es ist ein zerstörerischer Gott. Heute zerstören wir all das, was uns in der Vergangenheit so heilig war. Wir zerstören uns.
9. Man könnte sagen, deine Kunst soll die Menschen aufwecken?
Ja, die Kunst hat das Potential, die Menschen zu bewegen, sie aufzuwecken. Wenn man ein Kunstwerk betrachtet – unabhängig ob es einem gefällt oder nicht –, man beginnt, darüber nachzudenken. In jedem Menschen löst Kunst ein Gefühl aus. Man hinterfragt. Ich mache Kunst, um den alten Werten unserer Kultur einen Raum zu geben, um sie erneut wertzuschätzen. Vielleicht gelingt es uns somit, zu diesen Werten zurückzukehren. Viele Menschen sprechen von „Identität“, wissen aber gar nicht, was das bedeutet. Heutzutage wird Identität oft von Außen bestimmt. Es müssen erst die Ausländer kommen, um besondere Orte „zu entdecken“. Dabei gab es diese Orte schon immer. Die eigenen Traditionen wertschätzen, darum geht es in meiner Kunst.
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Ein tolles Interview, Nora. Da ich Luis persönlich kenne, kann ich dazu nur sagen, dass Dein Interview ihn richtig lebendig darstellt. Vielen Dank !
Toller Künstler und schön geschriebener Artikel. Ich bin auf meinen Reisen in Lateinamerika vielen kreativen Menschen begegnet, die Tradition und Moderne verbinden. Die Message von Luis Miguel ist sehr wichtig und es ist noch wichtiger, diese Künstler Wertzuschätzen.