Der Erdbebenheilige – “Señor de los temblores” – Sie feiern ihn wie einen Star.
Es ist Ende März, kurz vor Ostern. Die ehrwürdigste Oster-Prozession findet heute am Montag vor Karfreitag statt.
Es ist ein Tag, der seinesgleichen sucht. Die Stadt platzt regelrecht aus den Nähten, ganz Cusco scheint anwesend. Alle wollen ihn sehen – den Erdbebenheiligen, den schwarzen Christus, “el señor de los temblores”.
Das Treten wird zur absoluten Herausforderung, es sei denn man hat sich in einem der Kolonialbalkons am Hauptplatz einen Platz gesichert. Kein Auto kommt mehr in die Innenstadt, alles abgesperrt und von Sicherheitspersonal bewacht.
Verziert mit einer üppigen Dekoration aus roten Blüten, zieht der Erdbebenheilige heute quer durch Cusco – getragen von zahlreichen Trägern einer Brüderschaft. Auf seinem Weg wird er von gläubigen Anhängern begrüßt und mit den heiligen Nucchu-Blüten beworfen. Die Menschen weinen. Auf seiner Tour macht er an mehreren Kirchen Halt. Am Abend gegen 19 Uhr trifft er dann an der Kathedrale ein. Der Höhepunkt der Prozession.
Auf einer großen Leinwand am Hauptplatz wird die Prozession des Erdbebenheiligen liveübertragen. Es ist so spannend.
Vor genau einem Jahr stand ich am Hauptplatz. Eingeengt. Neben mir ein paar ältere Peruaner, die ihre Camping-Stühle ausgeklappt haben.
Es ist wie Kino und dennoch, es bedeutet den Menschen so viel mehr.
Mit einmal höre ich die ersten dumpfen Klänge einer Trommel, dann wird das Ganze melodischer und nun steht fest, gleich wird der Erdbebenheilige in der Masse der Menschen auftauchen.
Die Glocken der Kathedrale beginnen laut zu schlagen und nun ist er zum ersten Mal zu sehen. Ausrufe der Verwunderung (“Mira, alli estaaaa!”).
Fast in Zeitlupe schwebt der Heilige über der Menschenmasse hinweg. Es ist ein Moment, der Gänsehaut erzeugt, selbst wenn man nicht gläubisch ist. Der Erdbebenheilige erreicht die Kathedrale und wird unter Weihrauch vor- und zurück bewegt. Glockenschlagen, Feuerwehr- und Polizeisirenen ertönen zeitgleich über der Andenstadt, während die Menschenmenge schweigt.
Mit einer Hand erhoben danken die Bewohner der Stadt dafür, dass Cusco seit jener Zeit vom Erdbeben verschont geblieben ist.
Rückblick in die Vergangenheit – was geschah:
1650 – genau um diese Zeit ereignete sich ein tagelanges Erdbeben in Cusco. Gerade einmal hundert Jahre war es her, dass die Spanier nach Südamerika kamen und den Glauben der Inka unterdrückten. Stattdessen herrschte fortan das Christentum. Die Kolonialherren ließen Kirchen erbauen, errichteten provokant Kreuze, wo einst religiöse Tempel der Inka waren und sie brachten die Gestalt des Jesus Christus ins Land.
Man könnte annehmen, das Erdbeben sei eine übernatürliche Macht gewesen, die verzweifelt versuchte, die aufgesetzte Religion der Spanier abzuschütteln. So wurden die vielen neuerbauten Kolonial-Häuser und Kirchen in Schutt und Asche gelegt, wohingegen die Bauwerke der Inka der Gewalt des Bodens Stand blieben.
Wie der Jesus schwarz wurde
Das Erdbeben brachte sehr viel Leid mit sich. Und so starben hunderte von Menschen, andere verloren ihre Familien, ihre Häuser, alles war eine einzige Tragödie. Wo kaum noch ein Funke Hoffnung war, suchten die Bewohner in ihrer Verzweiflung die in Vergessenheit geratene Jesus-Statue und trugen sie hinauf auf den Hauptplatz. Sie beteten tagelang unter Tränen zum Christus.
Die Erzählungen beschreiben, wie die Menschen zahllose Kerzen um die Statue stellten. Er versank in einem Meer aus Kerzen, der dunkle Ruß blieb an seiner Haut haften. Und schließlich verwandelte er sich ganz in einen schwarzen Mann. Die Menschen beteten so lange, bis auf einmal das Erdbeben stoppte – und das, bis heute. Es war der Moment gekommen, in dem die andine Kultur mit der Weltanschauung des Christentums fusionierte.
Erdbebenheilige und Schutzpatron von Cusco
Seit jeher gilt der schwarze Christus als “Señor de los temblores”, als Erdbebenheilige und Schutzpatron der Stadt. Auf Quechua wird er “Taitacha” genannt. Da das Erdbeben 1650 Ende März stattfand, beschlossen die Cusqueñer seinen Ehrentag mit den Osterfeierlichkeiten zu verbinden.
In diesen Tagen kommt es zu zahlreichen Prozessionen und Messen, in der Innenstadt bestimmen gläubige Cusqueñer mit ihren Familien das Bild. Überall gibt es süße Empanadas, bunt farcierte Kekse, frittierte Schweinehaut, salzige Tamales und Popcorn zu kaufen.
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